Weihnachtszeit

Im selben Moment erinnerte sich Manfred zurück an das Weihnachtsfest, das er immer zusammen mit seinen Eltern gefeiert hatte. Der Christbaum war zumeist eine Fichte gewesen, denn Fichten waren billig. Sein Vater hatte den Baum gewöhnlich wenige Stunden vor der Bescherung aufgetrieben. Kreuzberg Senior war stolz darauf, den Weihnachtsbaum am Heiligen Abend zum halben Preis bekommen zu haben. Er konnte sich über jede Mark, die er irgendwo einsparen konnte, freuen und zog es sogar in Erwägung, auf den Weihnachtsbaum ganz zu verzichten.

Die Gewächse, die sein Vater nach Hause gebracht hatte, waren nicht immer schön und Maria Kreuzberg maulte gelegentlich, wenn sie einen Baum mit unregelmäßig gewachsenen Ästen schmücken musste. Der Weihnachtsbaum der Familie Kreuzberg war fast immer einer der übrig gebliebenen. Doch was ist Schönheit eigentlich, warum finden wir ein Mädchen oder einen Baum schön? Bäume haben etwas Göttliches, sie überdauern uns Menschen und wachsen weit über unsere Schultern hinaus. Manfred liebte Bäume, denn sie hatten für ihn in der Tat etwas Göttliches. Einen Baum zu verehren, war für ihn etwas anschauliches, schlichtweg schönes. Es war zumindest schöner, als einen unsichtbaren, nicht bildlich vorstellbaren Gott zu verehren. Manfred streifte durch den Wald, um sich eine besonders schöne Fichte auszusuchen. Er fühlte sich wie ein Jurymitglied einer Schönheitskonkurrenz.

Lange durchstreifte er den Wald, bis er zwei junge, völlig unterschiedliche Fichten sich gegenüberstehen sah. Die eine war gleichmäßig gewachsen, die andere krumm und schief. Wie ähnlich die Natur doch ist, die Fichten unterscheiden sich ebenso wie die Menschen, es gibt schöne und weniger schöne. Doch um sagen zu können, was schön und eben nicht schön ist, bedarf es des menschlichen Urteilsvermögens. Den Fichten selbst wird es ziemlich egal sein, ob sie schön oder weniger schön sind. Wie kommt es eigentlich, dass ich vieles von dem, was andere Leute hässlich finden, als schön empfinde. Ein verrostetes Wasserrohr, ein altes verhautes Emailwaschbecken hat für mich eine eigenwillige Schönheit? Ist es ein Protest, den ich selbst nicht mehr als Protest wahrnehme?

Manche Dinge können schön und hässlich gleichzeitig sein. Nehmen wir die Ratte, das Tier, das von der Protestbewegung Punk kultiviert wird. Die Ratte kann ekelhaft und süß gleichzeitig aussehen. Wir Menschen können beim Hässlichen das Hässliche ausblenden und das Schöne daran sehen.

Es wäre interessant, zu erfahren, in wie weit das Programm, etwas schön zu finden, angeboren ist.

Urteilsvermögen, in dem Moment, als ihm dieses Wort auf der Zunge lag, dachte er an Immanuel Kant und sein Buch die „Kritik der Urteilskraft“. Manfred hätte nie die Geduld aufgebracht, dieses Buch zu lesen. Außerdem hasste er Kant wegen seiner Ordnungsliebe und Genauigkeit. Er selbst war das totale Gegenteil dieses Philosophen, er suchte ständig nach Veränderung und war vom Wandertrieb besessen.

Der Gedanke, Gott in der Natur zu suchen, wie es die Philosophen des deutschen Idealismus taten, lag ihm näher. Schelling und Fichte, die beiden Philosophen interessierten ihn plötzlich, er beschloss, im Lexikon über diese beiden, oft in einem Atemzug genannten Männer, nachzuschlagen.

Achtung Satire

Gott online

 

Gott online! Den Weg zur Schriftstellerei habe ich über den Computer gefunden, möglicherweise werde ich den Weg zu Gott ebenfalls durch die virtuelle Welt der Bits und Bytes finden, so dachte ich mir, als ich eine Annonce einer freien Kirchengemeinde in unserer Zeitung las. Fazit: Computer an und rein ins Web. Neugierig klickte ich auf das Symbol „Gott“, ein Symbol das einem persischen Teppich ähnelte. Zuerst erschien die Meldung:  Prüfen Sie die Systemvoraussetzungen! Die Anwendung „Gott“ benötigt  500MHz, 32 MB RAM, Geforce 2 MX

Ja, ja, die letzten werden die ersten sein, heißt es in der Bibel. In diesem Fall einfach ausgedrückt: Der reiche Prasser, der vor 15 Jahren neuntausend Mark für einen Pentium 100 ausgegeben hat, ist chancenlos, während der arme Schüler, der gestern für 20 Euro einen gebrauchten Pentium 3 bei Ebay eingesteigert hat, kommt zu Gott durch. Um nicht auf alle Ewigkeit verdammt zu werden, deinstalliere ich vorsichtshalber ein paar indizierte Computerspiele, zuallererst die grimmigen Monster aus Wow. Anschließend klicke ich auf das Symbol „Gott“. Auf dem Bildschirm erscheint:  

„Sie sind in der Warteschleife, die Anwendung „Gott“ ist im Moment überlastet.“ Ungeduldig  verlasse ich „Gott“ und gehe in das Verzeichnis: „14 Nothelfer und andere Heilige“, zuallererst zum heiligen Antonius, den für mich als Oberschlamper wohl wichtigsten Heiligen. Seit frühester Kindheit empfiehlt mir meine Großmutter zu ihm zu beten, sofern ich etwas verloren habe. Im Augenblick suche ich gerade mein Systemhandbuch. „Geben Sie den Gegenstand, den sie suchen ein“, spricht der heilige Antonius über den 32bit Soundchip. Ich schreibe Handbuch und klicke auf Suchen. Auf dem Bildschirm erscheint ein blinkender Aktenkoffer und tatsächlich, mein Handbuch befindet sich im Koffer.

  

Seltsamerweise war auch der heilige Blasius, er hilft sonderbarerweise nicht bei Blasenentzündung, sondern bei Halsschmerzen, gerade frei, was beim derzeitigen Wetter ein unwahrscheinliches Glück bedeutete. 

 

Selbst der heilige Florian war im Online Chat erreichbar. Er bot mir eine Brandversicherung bei der Iduna Nova für 219 Euro an und fragte mich anschließend über ein Dialogfeld, wem er denn das Haus anzünden solle?

 

Geschäftstüchtig erwies sich auch die heilige Katharina, sie bot die CD-ROM „Sophies Welt“ für 39 Euro an.

 

Franziskus, bekannt für seine Gespräche mit den Tieren, erschien in hoher Auflösung auf dem Bildschirm. Der Heilige aus Assisi, gewandet in einer braunen Kutte, befand sich gerade im Gespräch mit einem dicken rosa Schweinchen. Das Schweinchen meinte, es sei eine bodenlose Sauerei, dass die Sauställe seit Jahren mit  56k er Modems ausgestattet seien, während die Pferde von nebenan bereits die moderne DSL -Technik hätten. Franziskus meinte: „Ich werde dem lieben Gott diesbezüglich eine eMail schicken, aber ihr wisst doch, die Anwendung „Gott“ ist ständig überlastet.“

 

 

noch ein Auszug aus meinem Roman

Svetlana pflückte ein kleines Sträußchen und hielt es unter die Nase, ein süßer sanfter Duft, viel sanfter als der der teuren Parfums lag in ihrer Nase. Sie begann ein Kränzchen zu flechten und legte es um ihr Handgelenk. Sie dachte: „Ich mag die kleinen wilden Blümchen viel lieber als die hochgezüchteten Orchideen und Lilien. Nein, ich selbst bin keine Lilie, viel eher ein Gänseblümchen. Kaum ein Junge betrachtet mich, niemand staunt, wenn er mich sieht. Haben die Blumen eigentlich eine Seele? Wenn ich die Wiesenblumen in meiner derzeitigen Stimmung betrachte, scheint es mir sogar recht wahrscheinlich, obgleich ich es mit dem Verstand nicht fassen kann. Eine ganze Reihe Menschen bezeichnet die Wiesen- und Kornblumen als Unkraut. Hätten die unbedeutenden Blümchen eine Seele, würde es ihnen sicher weh tun, wenn man sie als Unkraut bezeichnen würden. Welchen Sinn außer das Herz der Menschen, vielleicht auch das der Vögel und Bienen zu erfreuen, haben Blumen eigentlich? Wie schnell wird ein Mensch, der nichts leistet, als Unkraut bezeichnet. Viele Mädchen möchten wie die großen Blumen, wie die Lilien und Orchideen sein, sie möchten bewundert werden, sie möchten, dass die Männer sich mit ihnen schmücken. Aber ich bin mir sicher, wenn die Blumen eine Seele haben, so ist jene der kleinen Wiesenblumen ebenso tiefgründig wie die der Orchideen.“      

 

Vor zwei Monaten hatte hier noch der Schnee gelegen und das Land mit einer dünnen Schicht, wie aus Puderzucker überzogen. „Wie froh bin ich, dass er endlich vorüber ist, der Winter. Der Schnee, er ist ein falscher Geselle, er scheint süß wie Zucker und dennoch ist er kalt wie Eis.

Kann man zu den Menschen eine Parallele ziehen? Tragen die Menschen, die sich süß wie Zucker geben, vielleicht Kälte und Falschheit in ihren Herzen? Ich weiß es nicht, denn ich kann nicht in die Herzen der anderen hinein schauen. Viel lieber als der Schnee, ist mir der Sumpf. Er ist warm und weich und in dieser Eigenschaft ist er ehrlich. Er ist  Sinnbild meiner trüben Gedanken, die mich ständig begleiteten.“ Ein Bächlein, kaum anderthalb Meter breit, schlängelte sich gemächlich am Birkenhain entlang. Eine sanfte Brise warf kleine gelbe Blätter von den Ästen. Ein schwarzer langbeiniger Vogel schnappte nach einem dünnen Regenwurm. Das Weizenfeld am Horizont schimmerte in kräftigem gelb. Svetlana blinzelte immer wieder, die Sonne blendete sie. Die Sonnenstrahlen verwandelten die Natur in ein seltsam glitzerndes Mosaik. Nie zuvor war ihr die Welt so gelb vorgekommen wie an diesem Tag. Welche Bedeutung haben die Farben, haben sie überhaupt eine Bedeutung? Am vergangenen Tag hatte noch ein grauer Schleier über der Landschaft gelegen.

Svetlana schrieb in ihr Tagebuch:

Die Stimmung wechselt wie die Farbe des Himmels. Himmel und Stimmung kann tagelang dunkel und grau sein, es kann aber auch nur einige Minuten dauern bis die Sonne am grauen Himmel auftaucht.

Ich bin nur ein einfaches Mädchen, ich bin kein großer Dichter. Sehen die großen Künstler die Welt mit anderen Augen, haben sie ein anderes Bild der Wirklichkeit, empfinden sie tiefer als ich? Ich glaube nicht, dass Puschkin das Gefühl der traurigen unerfüllten Liebe tiefer empfunden hat als ich. Er kann sich nur besser ausdrücken. Vielleicht empfindet sogar derjenige, der seine Gefühle nicht ausdrücken kann, tiefer, weil er mit ihnen alleine bleibt. Er empfindet das Gefühl in seiner Reinheit und Tiefe, weil er das Gefühl selbst und nicht die Worte, in das er es gekleidet hat, empfindet. Der Dichter verlagert es von der Brust in den Kopf und von dort auf die Zunge. Nichts kann man so schwer beschreiben wie die Gefühle. Ist die Sprachlosigkeit gegenüber der Natur und der Liebe sogar besonders tiefes, weil demütiges Gefühl? Ein Gefühl, wie es die betenden Mütterchen in der Kirche verspüren?