Ich bin 14 Jahre alt, nein, ich bin schon in den späten Fünfzigern, aber ich erzähle diese Geschichte aus der Warte eines Jugendlichen. Endlich kein Kind mehr, zumindest nach dem Gesetz endlich ein Jugendlicher. Sie heißt Beate, Beate ist ein lateinischer Name mit der Bedeutung: Die Glückliche
Wir wollen uns auf dem Plärrer, bei den Autoscootern treffen.
Ich war kein glückliches Kind.
Früher glaubte ich, Erwachsen sein, sei wahres nahezu unendliches Glück, man darf so viel Nutella essen und so viel Limo trinken, wie man möchte. Man darf im Fernsehen nicht nur die Sendung mit der Maus anschauen, wenn man Glück hat ausnahmsweise Didi Hallervorden oder Hans Rosenthal.
Aber dafür musste man brav und fleißig sein.
Man darf als Erwachsener ein Auto fahren, ich träumte als Kind von einem Ford mit 6 Zylindern so einen, wie ihn der Nachbar Herr Aichmüller fährt, nur statt in braun in grün metallic. Wenn es das Schicksal besonders gut meint, könnte es sogar für einen Mercedes SLC oder Trans AM mit 8 Zylindern reichen. Man bekommt einen tollen Beruf und natürlich erfüllt sich auch der Traum von der großen Liebe.
Beate, wenn dein Name fällt, dann startet in meiner Brust eine Rakete, die im Hals zu explodieren droht und dann hinaus schießt ins dunkle Universum und irgendwann im Dunklen erlischt.
Ich möchte aber, dass du in mir etwas entzündest, das wie der Venusstern ewig leuchtet.
Beate, du bist meine größte Liebe aller Zeiten, so tief lieben wie ich, das kann kein ein anderer, das bildete ich mir mit vierzehn ein. Was Rockefeller im Geschäftsleben und Werner von Siemens in der Elektrotechnik, möchte ich mit meiner verträumten Leidenschaft sein. Gleichzeitig mache ich mir Vorwürfe, wegen meines seltsamen Größenwahns. Ich liebe Beate so tief, wie nur ein Dichterherz lieben kann. Diesen Satz habe ich bei Puschkin geklaut, Lenski sagt es im Versroman oder singt es in der Oper zu Olga.
Ja, ich bin Dichter, manchmal sind sie Egomanen, die weltfremden Poeten. Sie lieben die Fiktion viel mehr als die Realität, sie lieben ihre Gedichte und Romane. Sie hassen den Alltag und die Pflichten. Mädchen sind wie Feen und Elfen aus einer Märchenwelt.
In meiner Phantasie besiegt Beate Martina Navratilova im Tennis. Aber Beate ist zart und zierlich, auch ihre Seele wirkt zerbrechlich. Gegen Martina Navratilova ist Beate eine Verliererin, gegen Beate bin ich im Tennis ein Looser. Ich habe nicht den Mut, sie um einen Tennistermin zu bitten. Ich fürchte gegen sie innerhalb einer Stunde dreimal 6:0 zu verlieren, Martina Navratilova würde es in 50 Minuten schaffen. Schon ein 6: 2 wäre ein Erfolg gegen Beate.
Rosen schenken ist das Zeichen der Liebe, am liebsten würde ich Beate einen Strauß Rosen schenken. Sie sollen ungerade sein. Ein Pakistani verkauft aufdringlich Rosen. Das Taschengeld reicht gerade noch für eine. Wenn ich Oberamtsrat wie mein Vater wäre, könnte ich locker 100 Euro für Rosen ausgeben. Rosen schenken, wenn man unromantisch und perfide ist, könnte man diese Zeremonie als billigen unter Umständen auch als teuren Trick bezeichnen, als Werbungskosten im wahrsten Sinne des Wortes. Für mich sind 99 Rosen ein teurer Trick, für Donald Trump ein billiger. Nein, so böse bin ich mit 14 noch nicht.
Wir tragen beide bayerische Tracht und fühlen uns irgendwie unwohl, normalerweise tragen wir am liebsten Tennissachen von Ellesse oder Fila, das was Borg und Boris Becker tragen. Darin fühlen wir uns wohl. Ich hatte diese blöde Idee mit der Tracht, mit der Lederhose und dem Dirndl. Als Kind freute ich mich über ein Tennishemd von Ellesse, heute habe ich den ganzen Schrank davon voll.
Wir steigen in einen gelben Autoscooter, frontal rammt uns ein Junge, es gibt einen Stoß, dem Jungen gefällt es. Ich habe Scherzen im Nacken. Nach zwei Minuten sind die Schmerzen weg. Fürs Bierzelt sind wir noch zu jung, heimlich mal einen halben Liter Weizen nach dem Tennis schnell getrunken, das war möglich, das war wie eine Reise in eine andere Bewusstseinssphäre, eine Reise von Zukunftsängsten und lästigen Schulaufgaben in die Gegenwart und von dort in die Gleichgültigkeit, in die Leichtigkeit des Seins. Ich habe schon wieder Worte geklaut, diesmal bei Milan Kundera.
Knausgard einer meiner liebsten Autoren schreibt auch gerne über Rauchen und Trinken in der Jugend. Knausgard ist wie ich ein überbehüteter Nordeuropäer. Manchmal träumte ich als Kind sogar in der Dritten Welt in einem Slum zu leben, träumte von einem Leben ohne Binomische Formeln und Kongruente Dreiecke, ohne Sagrotan und Xyladecor.
Beate hat eine Schachtel Marlboro bei sich. Vor den Autoscootern wollen wir nicht rauchen, Polizisten patrouillieren.
Nach dem Jugendschutzgesetz ist das Rauchen erst ab 16 erlaubt. Wo kein Kläger, da kein Richter, wo kein Polizist oder Erwachsener, dort setzt keiner das Jugendschutzgesetz durch. Pubertäre wollen auch mal gegen Regeln verstoßen, Regeln, Regeln, Regeln. Deutsche sind besonders Regelverliebt.
Rauchen ist zwar verboten, aber es wird nicht bestraft, wie Diebstähle oder Vandalismus.
Was soll ich tun? Ich möchte Beate auf der Stelle küssen, die Knie zittern, die Stimme bebt. Natürlich tue ich es nicht, ich will mir nicht alles kaputt machen, ich möchte kein Wüstling sein.
Beate reicht mir eine Zigarette und Feuer, ich nehme einen tiefen Lungenzug. Innerhalb von Sekunden wirkt, das Nikotin, eine seltsame Droge, anregend und angstlösend gleichzeitig.
Ein würziger Geschmack im Mund, ein sanftes Kratzen in den Bronchien. Beate schenkt mir eine Zigarette, ich bin so stolz darauf, sie könnte mir ihre Liebe schenken.
Martina Navratilova hat heuer Wimbledon gewonnen, Beate hat mein Herz gewonnen. Sie musste sich dafür nicht einmal anstrengen. Ich will ihr Herz gewinnen, ich bin ein Hosenscheißer und Hasenfuß, ich steckte den Finger in den Mund. Beate lächelt verlegen.